Farbsysteme

Schon seit Jahr­hunderten gibt es Systeme, mit denen Farben in eine logische Beziehung zueinander gebracht werden. Künstler haben Farbenlehren geschaffen, die vor allem die ästhetische Wirkung berück­sichtigen, auch psycho­logische und philo­sophische Gedanken wurden damit verknüpft. Technische Farbsysteme gehen von der Physik des Lichts aus und ordnen Farbtönen objektivier­bare Werte zu; nur so können Farben und farbige Bilder fest­gehalten, übertragen und korrekt reproduziert werden. Die technischen Farbsysteme haben eine große Bedeutung für die chemische und elektro­nische Bild­verarbeitung sowie für das Anmischen von Maler‑ und Druckfarben.

Die sieben Regenbogen­farben von Isaac Newton (1642–1726) stellen ein einfaches, an der Natur orientiertes Farbsystem dar. Newton nannte sie die sieben „reinen Farben“, lehrte aber zugleich, dass es unzählige Zwischentöne gibt. Ergänzt man die Spektral­farben durch Violett bzw. Purpur, dann lässt sich das Regenbogen-Spektrum zu einem Farbkreis schließen. Violett ist eine Mischfarbe, die sich aus Licht mit sowohl langen als auch kurzen Wellen ergibt; sie bildet in der visuellen Wahrnehmung das Verbindungs­stück zwischen dem (kurz­welligen) Blauviolett und dem (lang­welligen) Rotviolett. Man nennt dieses Verbindungs­stück „Purpur­linie“.

Es stellt sich nun die Frage, wie man den Farbkreis sinnvoll gliedern kann. Verschiedene Farbsysteme beantworten diese Frage unter­schiedlich. Dabei ist von wesentlicher Bedeutung, welche Farben sich diametral gegenüber­liegen. Wenn diese sog. „Komplementär­farben“ bzw. „Gegen­farben“ gemischt werden, haben sie keine Tendenz zu einer vermitteln­den Zwischen­farbe, sondern ergänzen sich idealerweise bei additiver Farbmischung zu Weiß, bei subtraktiver Farbmischung zu Schwarz.

Greifen wir auf Newtons sieben Regenbogen­farben zurück. Für diese Gliederung kann man den sichtbaren Spektral­bereich (375 nm bis 750 nm) als Farben-Oktave auffassen – analog zur Musik, denn in der musika­lischen Akustik ergibt eine Verdoppelung der Frequenz (bzw. Halbierung der Wellenlänge) das Ton-„Spektrum“ von sieben Tonschritten bzw. einer ganzen Oktave. Weil die menschliche Wahrnehmung logarith­misch skaliert, nehmen wir für die Abschnitte der einzelnen Farben eine logarith­mische Stufung vor. Das bedeutet für unsere acht Stufen: Die Wellenlänge jeder nächst­höheren Farbstufe wird durch Multipli­kation mit 1,0905 erreicht. Es ergeben sich daraus folgende Werte:

Anfang: 375 nm / Schwelle vom ultravioletten Licht
1. Stufe: 409 nm / blauviolett (Newton: „violett“)
2. Stufe: 446 nm / indigo (Newton: „indigo“)
3. Stufe: 486 nm / blau (Newton: „blau“)
4. Stufe: 530 nm / grün (Newton: „grün“)
5. Stufe: 578 nm / gelb (Newton: „gelb“)
6. Stufe: 631 nm / rot (Newton: „gelbrot“)
7. Stufe: 688 nm / rotviolett (Newton: „rot“)
8. Stufe: 750 nm / Schwelle zum infraroten Licht

Regenbogen-Farbkreis

Wenn man die Anfangsstufe mit der achten Stufe gleichsetzt und ihr die Farbe Violett („Purpur“) zuordnet, erhält man einen geachtelten Farbkreis mit den Komplementär­farben-Achsen Grün – Violett, Gelb – Blauviolett, Rot – Indigo und Rotviolett – Blau. Grün markiert dabei den Scheitel­punkt des Spektrums; die Violett-Grün-Achse ist die Spiegelachse für den ganzen Farbkreis.

Allerdings ist diese Einteilung weder ästhetisch noch technisch befrie­digend: Auf der kurzwelligen Seite des Farbkreises befinden sich dann nur blau­verwandte Farben, auf seiner langwelligen Seite alle übrigen, und weder bei additiver noch bei subtraktiver Farbmischung ergeben die Komplementär­farben auch nur annähernd farbneutrale Hell‑ bzw. Dunkeltöne. Das liegt daran, dass die drei Zapfenarten auf der Netzhaut, die das farbige Sehen ermöglichen, mit ihren jeweils höchsten Empfindlich­keiten nicht gleichmäßig auf das Spektrum verteilt sind. Die spektrale Nähe der M-Zapfen (535 nm / Grün) und L-Zapfen (565 nm / Gelbgrün) bewirkt ein großes Differen­zierungs­vermögen für langwellige Farben, während im kurzwelligen Bereich nur die S-Zapfen (450 nm / Blau) sensibel sind. Aus dem Grund ist es geraten, den Rotpunkt vom Grünpunkt weiter zu entfernen und die Gliederung des Farbkreises entsprechend zu verzerren. Auf diese Weise ergeben sich neue Komplementär­achsen, die je nach Farbsystem voneinander abweichen können. Außerdem reduzieren die meisten Farbsysteme die Zahl der Komplementär­achsen von vier auf zwei oder drei Hauptachsen.

Helmholtz-Farbkreis

Der Farbkreis, der heute den meisten technischen Farbsystemen zugrunde liegt, geht auf den Physiker Hermann von Helmholtz (1821–1894) zurück. Dabei wird der Winkel zwischen den beiden Grundfarben Grün und Rot auf 120° erhöht; als dritte Grundfarbe kommt Blau hinzu ‑ mit ebenfalls je 120° Abstand zu Rot und Grün. Daraus ergeben sich die drei Hauptachsen Grün – Violett (bzw. Magenta), Rot – Blaugrün (bzw. Cyan) und Blau – Gelb. Auf diesen Farbkreis baut das RGB-System auf (Red, Green, Blue), das für die additive Farbmischung beim Farb­fernsehen, bei Computer-Displays und bei LED-Beleuch­tungen Verwendung findet. Das Pendant dazu ist für die subtraktive Farbmischung das CMY-System (Cyan, Magenta, Yellow), das beim standardi­sierten Farbdruck Verwendung findet. Zur Kontrast­verbesserung und für Texte tritt häufig Schwarz als vierte Druckfarbe hinzu; das CMYK-System ist die Grundlage des klassischen Vierfarben­drucks (Cyan, Magenta, Yellow, blacK).

Goethe-Farbkreis

Farbsysteme, die noch stärker die Physiologie des Auges berück­sichtigen, erhöhen den Winkel zwischen Grün und Rot auf 180°, sodass sie zu Komplementär­farben werden. Das entspricht dem natürlichen menschlichen Farb­empfinden. Das Lab-Farbsystem (auch CIELAB genannt) besitzt senkrecht zur Grün-Rot-Achse (a-Achse) eine Gelb-Blau-Achse (b-Achse), arbeitet also mit zwei Hauptachsen. Es ist heute zum über­greifenden weltweiten Standard für exakte Farb­beschrei­bungen geworden. Charakte­ristisch für das Lab-Farbsystem ist der Ansatz, die gleichmäßige Abstufung von Farbtönen nach dem Farb­empfinden von Versuchs­personen als entsprechend gleichmäßige Abstände auf dem Farbkreis bzw. im gesamten Farbsystem dar­zustellen.

Goethe-Farbkreis

Auch tradtionelle Farbsysteme wie Goethes Farbenlehre sehen Grün und Rot als Komplementär­farben an. Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) verwarf allerdings Newtons Lichttheorie und nahm irrtümlich an, dass weißes Licht nicht aus Spektral­farben zusammen­gesetzt ist. Als weitere Komplementär­farben erscheinen in Goethes Farbkreis Blau und Orange sowie Violett und Gelb. Dieser Farbkreis lieg auch der Farbkugel von Philipp Otto Runge (1777–1810) zugrunde. Sein dreiachsiges System berück­sichtigt stark das ästhetische Empfinden: Die Gelb-Violett-Achse teilt den Farbkreis in zwei Hälften, deren Farben als „warm“ bzw. „kalt“ empfunden werden. Das geht darauf zurück, dass der Mensch blaue und grüne Töne mit Wasser assoziiert, orange und rote Töne dagegen mit Feuer. Entsprechend spricht man auch von „warmem“ oder „kaltem“ Licht. Der Kunst­theoretiker Johannes Itten (1888–1967) hat aus dem Farbkreis von Goethe und Runge seine Farb­typenlehre entwickelt, die in der individu­ellen Stilberatung bei der Farbauswahl für Kleidung, Makeup und auch Innen­einrichtungen eine Rolle spielt.

Farbflauml;chen

Der Farbkreis wird zur kreis­förmigen Farbfläche, wenn man ihn durch anteilige subtraktive oder additive Mischung aller einander gegenüber­liegenden Komplementär­farben ausfüllt. Der Mittelpunkt wird dann bei subtraktiver Farbmischung idealerweise Schwarz, bei additiver Farbmischung Weiß. In beiden Fällen nimmt die Farb­intensität vom Außenrand her ab bis hin zum farb­neutralen Mittelpunkt. Bei der subtraktiven Farbmischung geht damit eine Abdunklung, bei der additiven eine Aufhellung einher.

Wenn wir uns beide Scheiben als obere und untere Außenhaut-Hälfte eines Ballons vorstellen, lassen sie sich zu einer Farbkugel „aufblasen“. Die Mittelachse umfasst dann alle farb­neutralen Punkte von Weiß (oben) bis Schwarz (unten), der Mittelpunkt ist ein mittleres Grau. Philipp Otto Runge war es, der Goethes Farbkreis auf diese Weise in die dritte Dimension erweitert hat. Dabei bildet die Senkrechte auf der kreis­förmigen Farbebene eine Helligkeits-Achse. Runges Farbkugel ist ein umfassendes Modell, mit dem sich prinzipiell alle erdenklichen Farbtöne darstellen lassen. Nur ein drei­dimensionales Modell kann das leisten: Die drei farb­empfindlichen Zapfenarten im menschlichen Auge bringen es mit sich, dass zur exakten Beschreibung eines Farbtons stets ein Ensemble von drei Werten nötig ist – entsprechend den drei Koordinaten, die zur exakten Lokali­sierung eines Punktes im Raum gebraucht werden. Alle voll­ständigen Farbsysteme, die Farben mit exakten Werten beziffern, arbeiten mit Ensembles von je drei Werten. Beim Farbglobus sind es analog zur Erdkugel Werte für Längengrad, Breitengrad und Radius.

Auch das Lab-Farbsystem ist drei­dimensional angelegt, und zwar als recht­winkliges Koordi­natensystem mit drei Achsen. Dabei steht eine (farb­neutrale) L-Achse senkrecht auf den beiden Komplementär­achsen a (Rot-Grün) und b (Gelb-Blau). Die L-Achse re­präsentiert die (subjektiv empfundene) Helligkeit einer Farbe. Das bedeutet: Alle Farbtöne, die das menschliche Auge als gleich hell empfindet, haben denselben L-Wert, befinden sich also auf einer gemeinsamen Ebene. Die L-Achse ist von 0 Prozent (Schwarz) bis 100 Prozent (Weiß) skaliert. Die beiden anderen Achsen übernehmen diese Skalierung in der Weise, dass (subjektiv empfundene) Farb­unterschiede analog zu den Helligkeits­unterschieden bewertet werden. Dabei gelten positive Werte auf der a-Achse für den Sättigungs­grad von Rottönen, negative Werte für den Sättigungs­grad von Grüntönen. Auf der b-Achse gelten positive Werte für Gelbtöne, negative Werte für Blautöne. Wenn man alle vom menschlichen Auge unter­scheidbaren Farbtöne mit Lab-Werten beschreibt, ergibt die ent­sprechende Menge der Punkte im drei­dimensionalen Koordinaten­system allerdings keine Farbkugel, sondern einen unregel­mäßigen Farbkörper: Die maximalen Extremwerte auf den Farbachsen liegen bei mittlerer Helligkeit zwischen 100 und 180. Man bezeichnet den Lab-Farbkörper als „Farbraum“ (engl. „gamut“) des menschlichen Auges.

Eine Variante des Lab-Farbsystems ist das LCH-System. Es ist zylindrisch aufgebaut: Die L-Achse gleicht der des Lab-Systems, aber anstelle der a-b-Koordinaten werden Polar­koordinaten mit dem Radius C und dem Winkel H angegeben. C hat dieselbe Skalierung wie die a‑ und b‑Achse in Lab; H läuft von Rot (0°) über Gelb (90°), Grün (180°) und Blau (270°) bis wieder hin zu Rot (360°). Vom H-Wert lässt sich der Winkel im Lab-Farbkreis direkt ablesen.

Farbflauml;chen

Grund­sätzlich anders als die Farbkugel und das Lab-Farbsytem ist das RGB-System angelegt. Es ist ein Misch­farbensystem, bei dem alle Fartöne aus dem Mischungs­verhältnis der drei Grundfarben Rot, Grün und Blau hergeleitet werden. Beim analogen Farb­fernsehen wurden die Farbanteile durch entsprechend starke elektrische Impulse re­präsentiert, in der digitalen Bild­verarbeiten werden sie normaler­weise mit drei acht­stelligen Binärzahlen dargestellt (drei Bytes oder 24 Bits); das sind 256 Abstufungen pro Grundfarbe; diese werden mit ganzen Dezimal­zahlen zwischen 0 und 255 oder mit Hexa­dezimal­zahlen zwischen 0 und FF beziffert.

Das RGB-System ist ein additives Misch­farbensystem; das subtraktive Pendant dazu ist das CMY-System. Beim Farbdruck auf weißem Papier werden die drei Grundfarben Cyan, Magenta und Gelb („Yellow“) im Vollton (100 Prozent) oder durch mehr oder weniger dicke Rasterpunkte in prozentual geringer Tonstärke aufgetragen. Anstelle von dreimal 100 Prozent wird beim CMYK-System 100 Prozent der schwarzen Druckfarbe aufgetragen.

Für Druck‑ und Malerfarben ist eine Fülle ver­schiedener Mischfarben­systeme entwickelt worden, die alle auf einer mehr oder weniger großen Zahl von Grundfarben aufbauen. Für das grafische Gewerbe gibt es u. a. das Pantone-System und das HKS-System. Im Pantone-System gibt es 18 Grundfarben, aus denen auch solche speziellen Druckfarben gemischt werden können, deren Farbtöne mit her­kömmlichem Vierfarb­druck nicht zu erreichen sind; die ent­sprechenden Farbmuster berück­sichtigen auch verschiedene Papier­qualitäten. Das HKS-System bietet sogar 88 Grundfarben, aus denen sich 3520 verschiedene Vollton-Farben anmischen lassen.

Die begrenzten Skalen des RGB-Systems und anderer technischer Farbsysteme kor­respondieren mit den Grenzen der ent­sprechenden Geräte bzw. Aufnahme‑ und Wieder­gabe­verfahren. Beim her­kömmlichen Farbdruck kann z. B. kein helleres oder reineres Weiß wieder­gegeben werden als das Weiß des unbedruckten Papiers. Daraus ergibt sich, dass je nach System nur ein mehr oder weniger großer Farbraum zur Verfügung steht, der meistens kleiner ist als der Farbraum des menschlichen Auges. Bei der digitalen Bild­verarbeitung muss es deshalb ein „Farb­management“ geben, das die ver­schiedenen Farbsysteme und ihre Farbräume aufeinander abstimmt. Dies geschieht in der Weise, dass ein „Farbprofil“ die individu­ellen Farbwerte eines Gerätes oder Programms in die normativen Lab-Werte umrechnet, von wo aus sie dann durch andere Farbprofile mehr oder weniger tonwert­getreu an weitere System übergeben werden können. Wo es auf sehr hohe Farbentreue ankommt, muss jedes individuelle Geräte (Monitor, Scanner usw.) „kali­briert“, d. h. über sein Farbprofil individuell justiert werden.

Wer an genauen Daten für diverse Systeme interessiert ist, findet auf der Website von Bruce Lindbloom einen vielseitigen und präzisen Farbrechner.

ZUM FARBGLOBUS!